Mario Spitzer

Umstrukturierung am Beispiel einer neuen Preisstrategie

Ein bedeutender Stakeholder äußerte Unzufriedenheit mit der bestehenden Preisstruktur, die vom früheren General Manager eingeführt worden war, und forderte eine moderne Lösung, die internationalen Standards entspricht.

Um die Neugestaltung der Preisstrategie und die Umstrukturierung des Verkaufsprozesses zu verstehen, ist es zunächst entscheidend, die Ausgangslage klar zu erfassen.

Die Preisgestaltung in Japan unterscheidet sich erheblich von den gängigen Praktiken in westeuropäischen Ländern, insbesondere hinsichtlich Transparenz und Preisbildung. Während in vielen Ländern Kataloge eine verlässliche Orientierung hinsichtlich der zu erwartenden Kosten bieten, ist dies in Japan nicht ohne Weiteres möglich.

Nach wie vor ist es gängige Praxis in Japan, dass Hersteller in ihren Katalogen sogenannte „Mondpreise“ angeben. Diese Preise liegen oft weit über den tatsächlichen Verkaufspreisen und dienen eher als unverbindliche, oft unrealistische Richtwerte. Diese Praxis hat historische Wurzeln in einem wettbewerbsintensiven Markt, der stark auf Rabatten basiert. Um ihre Produkte im Handel oder bei ausführenden Unternehmen wettbewerbsfähig zu positionieren, gewährten die Hersteller erhebliche Rabatte, was die Notwendigkeit hoher Katalogpreise zur Folge hatte. Statt einen realistischen Nettopreis zu bewerben, wurde der Fokus auf hohe Rabatte gelegt. Der tatsächliche Einkaufspreis für den Handel hing dabei von einer Vielzahl subjektiver Faktoren ab, wie dem persönlichen Verhältnis zum Verkäufer oder der Dauer der Geschäftsbeziehung, was die Preisgestaltung intransparent machte. Der Handel bot seinen Endkunden ebenfalls Rabatte an und betonte dabei die vermeintlich günstige Preisstellung im Vergleich zu den überhöhten Katalogpreisen.

Diese Praxis ist auch heute noch weit verbreitet, da Kunden in Japan üblicherweise nicht direkt beim Hersteller kaufen können. Stattdessen erfolgt der Erwerb der Produkte meist über den Handel oder ausführende Firmen im Rahmen komplexer Aufträge. Dies erschwert es den Endkunden erheblich, bereits zu Beginn des Entscheidungsprozesses verlässliche Preisinformationen aus den Katalogen zu gewinnen.

Warum ist diese Praxis problematisch? Es besteht die Gefahr, dass potenzielle Alternativen aufgrund extrem hoher Katalogpreise bereits frühzeitig ausgeschlossen werden, was dazu führen kann, dass ganze Projekte oder Investitionen nicht weiterverfolgt werden. Dies betrifft insbesondere Produkte, die sich an private Anwender und nicht an große Unternehmen mit erfahrenen Einkaufsabteilungen richten.

Welche Lösungen wurden in Betracht gezogen? Die Herausforderungen mussten auf mehreren Ebenen angegangen werden: in der Außenkommunikation mit dem Handel und den Endkunden sowie in der internen Kommunikation mit den Mitarbeitern, insbesondere in der Vertriebsabteilung. Die Vertriebsorganisation war stark an die bisherigen Rabattpraktiken gewöhnt, ebenso wie der Handel.

Das Ziel war es, in der Außenkommunikation einen realistischen, unverbindlichen Preis zu kommunizieren, der den Endkunden bereits in der Meinungsbildungsphase als klare Preisempfehlung dient.

Die Vertriebsorganisation wehrte sich zunächst vehement gegen eine Änderung der bisherigen Praktiken, da sie befürchtete, eine neue Preispolitik könnte zu signifikanten Umsatzverlusten führen. Viele Verkäufer hatten durch langjährige persönliche Beziehungen zu ihren Kunden ein hohes Maß an Vertrauen aufgebaut, das sie durch neue Strukturen und Preispolitiken nicht gefährden wollten. Zudem war die bestehende Preispolitik branchenüblich, und man sah kaum Möglichkeiten, sich von dieser Praxis zu lösen.

Wie wurde das Problem letztendlich gelöst? Es wurde ein klar definiertes, transparentes und für alle Beteiligten nachvollziehbares Konditionensystem entwickelt, das Rabatte auf die nun klar kommunizierten unverbindlichen Preisempfehlungen in den Katalogen vorsah. Der Einkaufspreis für den Handel wurde nun auf der Basis qualitativer und quantitativer Leistungen festgelegt. Zu diesen Leistungen zählten unter anderem Vorgaben zur Ausstellungsfläche, zum Erscheinungsbild der Außenfassade und zur Art und Weise der Produktausstellung. Auch Einkaufsvolumina und vom Handel erbrachte Dienstleistungen wie technischer Service oder Schulungen wurden berücksichtigt. Durch Erfüllung der im Konditionensystem festgelegten Anforderungen konnte der Handel sogar bessere Einkaufspreise erzielen. Diese Maßnahmen boten dem Hersteller die Möglichkeit, die Präsentation seiner Produkte im Handel qualitativ zu verbessern, das Kundenerlebnis angenehmer zu gestalten und letztlich Absatz und Umsatz zu steigern.

Der Handel fühlte sich bei der Einführung einer unverbindlichen Preisempfehlung zunächst stark in seiner Preisgestaltung eingeschränkt. Es bestand die Sorge, dass die neue Preisempfehlung den Spielraum für die Preisgestaltung gegenüber Endkunden, insbesondere Privatkunden, verringern könnte. Diese Bedenken erwiesen sich jedoch als unbegründet. Nach der Einführung des neuen Systems zeigte sich, dass die unverbindliche Preisempfehlung den Händlern die Preisfindung sogar erleichterte. Im Wesentlichen wurden die Produkte nun zu den empfohlenen Preisen verkauft, mit geringen Abweichungen bei besonderen Anlässen wie Hausausstellungen, bei denen Sonderrabatte zur Erhöhung der Kundenfrequenz angeboten wurden. Diese Praxis erwies sich als legitim und sogar förderlich. Insgesamt verzichtete der Handel nun weitgehend auf signifikante Nachlässe.

Die Umstellung von der Entscheidung bis zur vollständigen Umsetzung dauerte nahezu drei Jahre. Etwa sechs Monate wurden für die Entwicklung und Genehmigung des neuen Systems benötigt, und weitere sechs Monate wurden in die Kommunikation und Schulung der Organisation sowie des Handels investiert. Anschließend wurden verschiedene Produktgruppen schrittweise über zwei Jahre hinweg auf das neue System umgestellt. Diese gestaffelte Einführung ermöglichte es, das System zu beobachten, zu bewerten und bei Bedarf Feinjustierungen vorzunehmen, um kontinuierliche Verbesserungen zu gewährleisten.

Parallel zur Implementierung des neuen Konditionensystems entwickelte sich das Internet rasant weiter, was es Endkunden und Auftraggebern ermöglichte, Angebote aus verschiedenen Regionen oder von anderen Händlern direkt zu vergleichen. Die implementierte unverbindliche Preisempfehlung etablierte sich so als ein enormer Wettbewerbsvorteil des Händlernetzwerks. Mehr und mehr äußerten Händler, dass eine unverbindliche Preisempfehlung ihre Arbeit erheblich erleichtere.

Ein interessanter Nebeneffekt: Während der gesamten Kommunikationsphase wurde die unverbindliche Preisempfehlung konsequent mit dem Begriff „UVP“ kommuniziert, der sich inzwischen in der Branche als allgemein anerkannter Begriff etabliert hat.

Mit der Umstellung auf das neue Rabattsystem wurden mehrere entscheidende Ergebnisse erzielt: Die Qualität des Handels in Bezug auf Sichtbarkeit, Produktpräsentation und Dienstleistungen wie technischer Service wurde signifikant verbessert. Dies führte zu höheren Umsätzen auf der Verkaufsfläche durch ein verbessertes Kundenerlebnis. Zudem wurden in der Vertriebsorganisation klare Vorgaben für die Preisfindung an den Handel definiert, wodurch intransparente Preispraktiken der Vergangenheit angehörten.

Abschließend lässt sich sagen, dass trotz der zunehmenden Preistransparenz durch das Internet Mondpreise in Japan nach wie vor weit verbreitet sind. Diese Praxis schadet sowohl den Herstellern als auch dem Handel, da sie den optimalen Absatz gefährdet, weil die tatsächlichen Preispunkte nicht effektiv an die Zielgruppe kommuniziert werden. Es ist daher unerlässlich, sich von traditionellen Praktiken zu lösen, wenn diese nicht mehr zielführend sind. Der Ansatz „Das geht nicht, weil es schon immer so war“ bietet keine nachhaltige Perspektive und sollte hinterfragt werden.

 

Bildquelle: Mario Spitzer (Autor, mit KI erstellt)

Über die/den Autoren/in
Mario Spitzer

Mit über 30 Jahren CEO Erfahrung in Japan in verschiedenen Tochtergesellschaften großer deutscher Familienunternehmen verfüge ich über profundes Wissen in der japanischen Geschäfts- und Unternehmenskultur. 

Mit meiner Erfahrung in B2B und B2C-Vertrieben unterstütze ich beratend Markteinstiege. Bei bestehenden Organisationen validiere ich unvoreingenommen bestehende Prozesse und berate zu Japan-spezifischen Alternativen. Ich verstehe es, zwischen den Geschäftskulturen als Mediator zu vermitteln und durch besseres Verständnis und Akzeptanz zur Prozessoptimierung beizutragen. Meine Expertise ist nicht auf Marketing und Vertrieb limitiert und zeichnet sich überdies durch solides Wissen in den tangierenden Bereichen Personal, Logistik, Finanzen und Technik mit ihren japanischen Besonderheiten im Vergleich zu europäischen Märkten aus.